05.09.2012

Freitag im Kunsthaus Erfurt


"Kontrollverlust" | 08.09. – 13.10. 2012 |
Antje Blumenstein, Theo Boettger, Lisa Junghanss,
Julia Oschatz, Cornelia Renz, Sophia Schama

Eröffnung: Freitag, 7. September 2012, 20 Uhr

Es ist ein existenzielles Bedürfnis jedes Menschen sein Leben und sich selbst unter Kontrolle zu haben. Menschen wollen ihren Wünschen und Vorstellungen gemäß auf ihre Umwelt einwirken, sie als handelndes Subjekt aktiv gestalten und nicht wie ein ohnmächtiger Spielball der Umstände ins Leben geworfen sein. Sie wollen nicht von ihren Ängsten, Leidenschaften und Süchten übermannt werden, sondern Herr ihrer selbst bleiben, handlungsfähig, autonom, selbstbestimmt.
Spüren sie, dass ihnen diese Kontrolle verloren geht, fühlen sie sich ausgeliefert und verloren. Der reale oder nur gefühlte Verlust subjektiver Kontrolle über die Welt führt zu emotionalen, kognitiven und motivationalen Problemen. Mit dem Verlust der Kontrolle verlieren Menschen auch ihre Selbstachtung und die Fähigkeit angemessen und sensibel auf ihre Umwelt zu reagieren; sie verkriechen sich, neigen zu Passivität und Depressionen.
Gegenspieler und doch Pendant der Depression ist die Manie: auch sie äußert sich durch einen Kontrollverlust, einen Verlust der Kontrolle über die Affekte. Gefühle werden ungehemmt gezeigt und ausgelebt. Das Verhalten bewegt sich außerhalb der Ratio, die Folgen des eigenen Tuns für sich und andere werden nicht mehr bedacht. Der Unterschied zwischen der inneren und der äußeren Wirklichkeit wird nicht mehr erkannt; die Wahrnehmung der Realität ist gestört. Beispiele für die daraus resultierenden katastrophalen Folgen finden sich bereits in der antiken Mythologie: Herkules tötet im Wahnsinn seine Kinder, Medea erdolcht ihre Söhne.
Das Denken des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelt ein geradezu unbezähmbares Interesse an Situationen im Bereich des Kontrollverlustes. Neue empirische Wissenschaften – Psychologie, Soziologie, Ethnologie – begeben sich in dieser Zeit ausdrücklich auf die Spuren des Verborgenen in unserer Kultur und im Inneren des Menschen, der Schlaf, der Rausch, der Wahn, die Angst, das Vergessen werden untersucht, der Rationalität und der eng mit ihr verwobenen Gewissheit der Beherrschbarkeit von Welt wird der solide Boden ihrer verstandeskühlen Selbstgewissheit entzogen, sie wird auf den schwammigen Grund von Trieb, Verdrängung und Psychose gedrängt.
Nebst Wahn, Angst, Traum, Psychose werden Erotik, Sexualität, Aggression, Gewalt und deren gegenseitige Wechselwirkungen Untersuchungsgebiete der neuen Wissenschaften.
 Auch in der Kunst dieser Zeit ist eine der großen Neuerungen der nun stattfindende permanente Austausch zwischen Kunst und (eigenem) Leben, zwischen Wahnsinn und Genie, zwischen Tod und Sexualität bis hin zur freiwilligen Entfernung vom determinierten und determinierenden Ich und dem Auflösen der Autorenschaft. Seit dem 19. Jahrhundert arbeiten Künstler, indem sie den Paradiesen ihrer Imagination und der Hölle ihrer inneren Zwangsvorstellungen und dadurch auch den Realitäten der jeweiligen Zeit Ausdruck zu verleihen suchen.
Viele Menschen fühlen sich auch heute von der Welt mit dem rasanten Wandel unserer Gesellschaften und den Auswirkungen der Globalisierung mit ihren unzähligen und unüberschaubar wirkenden neuen Problemen ausgeliefert.
Der Grund mag auch darin liegen, dass es einerseits immer schwieriger wird individuelle, wirksame Kontrollmöglichkeiten zu finden, andererseits die Kontrollmöglichkeiten weltweiter Konzerne und Regierungen stetig wachsen.
Die Ausstellung KONTROLLVERLUST fasst sechs künstlerische Positionen zusammen, die sich auf unterschiedliche Weise mit Kontrollverlust beschäftigen, sich ihm psychisch oder physisch aussetzen, die Entstehung des Werkes von der Künstlerpersönlichkeit Materialprozessen übergeben oder ihn mit Blick von außen kühl konstatieren und aufzeichnen.
via KUNSTHAUS ERFURT

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